TEMPUS FUGIT. Oder simpler gesagt: Irgendwann ist er da, der Moment, an dem man erkennt, dass nichts und niemand schöner und jünger wird. Das gilt sogar für altes Gemäuer.

Vor mehr als einem Vierteljahrhundert wurde ein fürs damalige Kössen einigermaßen ungewöhnliches Projekt realisiert: Kunst im öffentlichen Raum, auf Steuerkosten finanziert, modern und abstrakt zudem noch. Und all das nur, um einen permanent rutschenden Hang endlich zu fixieren. Was mit Sichtbeton gegangen wäre (damals gnadenlos Brauch), wurde zum „Objekt“ erhoben. Denn: Jedes Frühjahr identischer Ärger mit dem Hang an der Straße, die zur Schlechterhöhe und zum „Viechdoktor“ Hermann Gmeiner und hinauf zum Peternhof führte. Erdreich rutschte nach und verschüttete die enge Straße. Dann kam der Einfall, das hässliche Stützwerk, das unumgänglich war, mit einer „Garnitur“ zu versehen. Mit Kunst! Gott sei bei uns …

Sepp Hechenbichler, damals Bürgermeister, bedurfte der List, des Lärms, der Überzeugung und der kommunalen Diplomatie, um die zu weiten Teilen noch stockkonservativen Ratsherren, für die Kunst aus Blasmusik samt Freibier bestand, zu überreden und davon zu überzeugen, dass für „Sowas“ auch Geld da sein müsste. Langwierig die Vorbereitungen: Aber 1998 war das Werk endlich von Bauzäunen befreit und sichtbar.

Der Beton war in Künstlerhände gelegt worden. Und heikel zudem, dass der Verantwortliche für den Entwurf kein Tiroler war und die Ausführende justament eine Frau! Dabei sollte sich die Entscheidung für Gabriela Nepo Stildorf als kluger Griff bewahrheiten. 1948 in Kufstein geboren, Studienjahre in ganz Europa, in der Kunstwelt arriviert. Mit Plas­tiken, Installationen, Objekten und Mutationen. In der Familie von Ernst Nepo (1895 bis 1971) verflochten, war sie von jungen Schaffensjahren an eingebettet in moderne Formen­sprache und Ausdrucksversuche. Ihr Schwiegervater Ernst Nepo gilt mit seiner  Sakralkunst als der bedeutendste Verteter der Neuen Sachlichkeit in Tirol. Gleichermaßen zur „Versöhnung mit der Heimatkunst“ steuerten Jugendliche aus der Hauptschule Kössen unter Anleitung eines Lehrers sonderliche „Garnituren“ bei. Eher befreit von Sinnhaftigkeit und eine Mixtur aus Nierentisch und real existierendem Sozialismus.

Die Baufälligkeit des Gesamtwerkes war unübersehbar. Ein graues und überwuchertes und verwaschenes Stück Straße. Eine Meile, die alles andere als eine Kunstmeile geworden war. Wer auf den Berg fuhr, hatte es eilig und nur wenig Muße für Blicke für Kunst aus den Tages des verflossenen Jahrhunderts.

Der Rettenschösser Maler und Bildhauer Peppi Huber legte nun den Siegerentwurf vor, mit dem die Neugestaltung in diesen Tagen Form annimmt. Er drapiert die Skulpturen von Gabriela Nepo Stildorf auf einen bunten Untergrund. Leichte Farben, ineinander fließend, an Regenbögen erinnernd. Aber so, als wären sie geplatzt und hätten sich Linien in Dreiecke und Vierecke verwandelt. Und wie zufällig damit die lange Mauer den Berg hinauf fröhlich tapeziert.

Gabriela Nepo Stildorf wird kein Urteil fällen können. Sie verstarb überraschend im Sommer letzten Jahres mit 72 Jahren. In Japan, Australien, Kanada und in europäischen Metropolen finden sich ihre Werke, einflussreiche Galeristen buhlen um die wenigen verfügbaren Stelen und Monumente. In Kössen war sie weitgehend längst vergessen. Altbürgermeister Sepp Hechenbichler: „Kunst zu modernisieren ist immer zwiespältig. Da kann zu viel Altes zerstört werden. Aber wichtig bleibt, dass sich die Leute die Zeit nehmen, das Neue in Ruhe und zu Fuß auf sich wirken zu lassen.“

Peter Auer